Technik - Phasen, Lösungen, Varianten
 
Auf dieser Spezialseite zu Technik-Varianten möchten wir verschiedene Wege der Technik darstellen. Um einem Athleten eine individualisierte Technik beibringen zu können ist die Kenntnis verschiedener Lösungen einer Bewegungsaufgabe unabdingbar. Da dies sowohl in der Leiter-Ausbildung wie auch in der Literatur eher dürftig vermittelt wird, möchten wir diese Lücke hiermit zu schliessen versuchen.

» Das schönste Technikvergleichs-Video auf Youtube, das ich fand ist dieses spanische Video.
» René-Jean Monneret hat
in diesem Beitrag und Videos die Speerwurf-Technik gut zusammengefasst
 
Prolog:
Die Grenze der Gestaltungsfreiheit ist das Reglement. Dieses musste im Lauf der Zeit mehrmals angepasst werden. So unter anderem 1956, als die Spanier Félix Erausquin oder Miguel Salcedos (83.43m) den Speer mit einer auf die traditionelle Palankaris zurückgehende Drehtechnik schon bald bis an die damalige Weltrekordweite von Janusz Sidlo von 83.66m heran schleuderten. Die Technik wurde kurz darauf mit Hinweis auf die Gefärlichkeit berechtigterweise verboten. Ein schöner Artikel über die Geschichte dieses Stils findet sich hier.
.
.
A. Der Anlauf
Beobachtungen und Vergleich der Anlaufsgestaltung junger Werfer in Finnland mit der Schweiz

Im Teilbereich Anlauf/Abwurf haben unsere Athleten gegenüber den durchschnittlichen finnischen WerferInnen einen grossen technischen Rückstand. Erstens laufen sie aus kürzerem Anlauf und viel langsamer an und nehmen somit weniger Tempo mit. Zweitens wären die allermeisten unserer Athleten nicht in der Lage schnelle Tempi in den Abwurf umzusetzen. Warum?
Ich stellte bei meinen Beobachtungen in Finnland eine völlig andere Kultur beim Anlaufen fest. Es ist in Finnland bereits für die allerjüngsten WerferInnen ganz selbstverständlich, dass sie aus einem längeren Anlauf anlaufen, bevor sie abwerfen. Es ist eine ganzheitliche Schulung, die dort von den Trainern nicht wie bei uns geradezu verhindert wird. Sie bringen sich das Umsetzen von schnellen Anlauftempi "on the training" selber bei:
Video von 8-10-jährigen finnischen Kids beim freien Trainingswerfen

Bei uns wird dies durch Trainer schlichtweg verhindert, die (freilich in guter Absicht!) die Athleten zuerst ausgiebig aus Stand und 3er werfen lassen wollen, bevor sie den Kids dann längere Anläufe erlauben. Hier müssen wir umdenken und einen Paradigmawechsel vollziehen! Technisch schwierig ist beim Werfen ja insbesondere die Verknüpfung zwischen Anlauf und Abwurf. Deshalb soll man diese Schlüsselstelle bereits früh üben und erlernen - wenns noch leichter fällt. Ganzheitlichkeit im Wurfbereich heisst:
Anlaufen plus Abwerfen.

Fazit:
Ich finde, 5-7 Anlaufschritte gehören bereits ins Kinder-LA-Programm! Sobald jemand über die Schulter werfen kann, soll als nächstes sofort ein Anlauf aus 5 oder mehr Schritten vorhergeschaltet werden. Der 3-Schrittanlauf ist meiner Ansicht nach auf keiner Stufe ein Wettkampf-Anlauf, sondern nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zum 5er oder 7er-Anlauf.

Pflicht-Lektüre: Klaus Bartonietz hat den Anlauf in seinem Artikel "Der Impuls für weite Speerflüge" in der Zeitschrift leichtathletiktraining Nr. 7/2004 sehr gut beschrieben, korrekt eingeordnet und gebührend gewürdigt.
 
1. Tragelauf (Zylischer Anlaufteil)



Da dieser Teil einzig dazu dient, den Körper auf Tempo zu bringen und für die Hauptphase oder deren Vorbereitung kaum Einfluss hat, sind hier viele Varianten denkbar: von der gängigen Speerhaltung neben dem Kopf beginnend bis zu Vertikal-Tragarten à la Steve Pearson, Chris Hill oder Aki Parviainen ist hier alles denkbar. Der Tragelauf darf am Schluss aber nur so schnell sein, dass nach dem Übergang in den Rückhaltelauf ein weiterer Tempogewinn möglich ist.
Ein methodischer Ansatz, den ich noch sympatisch finde ist, den Tragelauf punkto Rhythmus oder Charakter vom Rückhaltelauf verschieden zu gestalten und so eine Dynamikerhöhung in den anschliessenden Rückhaltelauf zu erleichtern.
 
2. Rückführung

Die Rückführung ist die erste Phase zur Wurfvorbereitung. Sie kann durch eine Zwischenmarke perforiert werden. Den v.a. in Deutschland oft zu beobachtenden, begleitenden "Hopser" finde ich persönlich überflüssig und für die weitere Beschleunigung der nachfolgenden Schritte eher kontraproduktiv. Mit der Speerrückführung dreht sich die Schulterachse um ca. 90° entgegen der Wurfrichtung. Manche Werfer nehmen die Wurfschulter noch stärker zurück (z.B. De Zordo oder früher Zelezny), um auch die seitliche Rumpfmuskulatur in die Wurfbewegung einzubringen.
Bei dieser "Schaltstelle" im Übergang vom frontalen Anlauf zum Lauf in seitlicher Körperhaltung gab es in der Geschichte des Speerwerfens verschiedene Ausführungsvarianten, die als gleichberechtigt angesehen werden müssen. Die Rückführung des Speers mit anschliessendem Abdrehen im Oberkörper (und Hüfte) erfolgt in der Regel auf 2 Schritten, vereinzelt auch auf einem Schritt.

Schwedische Rückführung
 
  Ausführung:
Arm horiziontal geradlinig auf 1 bis 2 Schritten nach hinten führen

Vorteile/Nachteile:
einfach auszuführen, wenig Fehlerpotenzial (Armhöhe)
individuelle Stärken evtl. nicht ausgenutzt

Fazit:

Die verbreitetste und methodisch wohl einfachste Rückführung, am besten auf 2 Schritten ausgeführt
     

     
Finnische Rückführung

Ausführung:
Arm bogenförmig nach vorn-unten, dann nach hinten aufwärts führen

Vorteile/Nachteile:
allenfalls grössere Lockerheit in der Wurfschulter
erhöhtes Fehlerpotenzial (Wurfarm bleibt unter Schulterniveau)

Fazit:

Heute eher selten ausgeführt. Bsp:
Zelezny, Lusis, Oosthuizen, Mickle
     

     
Russische Rückführung
     
Ausführung: Arm (meist aus eh bereits) hoher Haltung bogenförmig aufwärts-rückwärts nach hinten führen

Vorteile/Nachteile:
hohe Ellbogenposition wahrscheinlich
führt oft zu eher verkrampfter Schulter/Oberkörper-Position

Fazit:

Heute eher selten zu sehen. Bsp:
Laasma
   
 
3. Rückhaltelauf (Übergang zu / azylischer Anlaufteil)


3a) Varianten der Schrittgestaltung

Im Sinne individueller Gestaltung kann der Rückhaltelauf unterschiedlich lang sein: von minimal 3-5 Schritten an aufwärts bis ca. 9 Schritten sind hier mehrere Varianten gebräuchlich.
Es ist festzustellen, dass in der kontinental-europäischen Methodik ein 5er-Rhythmus dominiert (Rückführung rechts-links und dann tatatam-tatam); in Deutschland beinahe doktrinär.
Mittlerweilen aber auch sehr oft zu beobachten sind längere Rückhaltelauf-Längen (z.B. 7 Schritte). Diese Athleten tun dies unter anderem "aus Zeitgründen", um ihre optimale Körper- und Beinposition zum Impulsschritt besser, d.h. vor allem ohne Hektik einnehmen zu können. Die Schwierigkeit dieser Variante ist, das Tempo trotz zurück gehaltenem Arm weiter zu steigern. Es erfordert halt nebst grossen Beinschnelligkeitsvoraussetzungen und einem gewissen "Anlauftalent" auch viel Übung.
Beispiele:
Krammes, Takala, Wallin, Hatsko, Sayers

Als weitere Variante, die im RTP Jugend Wurf des DLV (S. 144) genannt wird: "der 7er Rückhaltelauf mit doppeltem Impulsschritt". Dem stehe ich sehr skeptisch gegenüber, weil es hierdurch zu einer zweifachen Auf-und-Abbewegung und einem damit verbundenen massiven Abbremsen der Anlaufgeschwindigkeit kommt. Nach einem Impulsschritt nochmals mit einem zweiten Impulsschritt eine weitere Tempogsteigerung vor dem Stemmschritt hinzukriegen ist alles andere als einfach. Nix für die Masse jedenfalls.



3b) Varianten der Beinarbeit im Rückhaltelauf

Auch punkto Ausführung der Beinarbeit im Rückhaltelauf sind mehrere Varianten zu beobachten.

Die klassische kontinental-europäische Schule am Beispiel von Sarah Mayer (GER, U23-Europameisterin 2011) ist am verbreitetsten und als Grundform sicher auch von jedem Athleten zunächst sinnvollerweise zu erlernen. Sie lehrt eine vor dem Körper "schaufelnde" Beinarbeit mit stetig leichter Rücklage, d.h. die Beine arbeiten/setzen deutlich sichtbar vor dem Körper und sind ziemlich gestreckt. Manche tun dies mit zackig ausgeführten, eher etwas längeren Schritten. Das vordere Bein bleibt dabei im Knie ziemlich gestreckt. Das rechte Knie wird nach vorne und nicht zu hoch geführt. Viele deutsche und russische WerferInnen wenden diese Form an. 



Bildreihe: der sehr dynamische, flüssige Rückhaltelauf von Nathalie Meier aus dem Jahr 2013 (JPG, MOV) war eine Lösung nach finnischer Philosophie, nämlich mit der Hüftachse immer auf einer Horizontallinie zu bleiben. Dazu muss man in Knie und Hüft von Beginn weg leicht abgesenkt sein. Mit dem vorderen Bein wird mehr unter dem Körper durch gezogen. Und mit dem hinteren Bein wird flacher nach hinten weggedrückt. Die Körperachse ist dadurch insgesamt aufrechter. Die Füsse zeigen im Gegensatz zu Sarah Mayer mehr nach vorne. Der Unterschenkel pendelt weder mit rechts noch mit links nach vorne aus. Das Bodenfassen passiert aus vorgespannten Fussgelenken aktiv und nach hinten nachschlagend. Verblüffend ähnlich im Rückhaltelauf-Stil ist Vitezslav Vesely

Bei meinem Besuch 2011 bei Tino Lang und seiner Gruppe des SC Potsdam (eine der hochkarätigsten Speerwurf-Trainingsgruppen in Deutschland), zu der eben auch die U20-/U23-Medaillengewinnerinnen Sarah Mayer und Laura Henkel gehören, konnte ich interessante Vergleichs-Aufnahmen machen.
Anlauf-Studie Vergleich Rückhaltelauf Sarah Mayer und Nathalie Meier
(72.8MB)

   
Finnischer Anlauf: schnelle Beinarbeit, flache Knieführung, kleinere Schritten

Aus Finnland kommt dagegen eine mit aufrechtem Oberkörper und unter dem Körperschwerpunkt geführte Beinarbeit mit etwas tieferer Kniearbeit, dafür etwas höherer Frequenz.
Mit dieser Variante hüpft der Schwerpunkt weniger auf-und-ab und Distanzkorrekturen sind einfacher zu bewerkstelligen.
Insbesonder gelingt es den Athleten so besser, den Schritt zum Impulsschritt (viertletzter zum drittletzten Bodenkontakt) genauer und auch effektiver zu setzen. 
   
Frontalanlauf: sehr frontale Hüftausrichtung nach vorn für Schnelligkeits-Maximierung

Es gibt auch Athleten, die extrem frontal anlaufen um ein sehr hohes Anlauftempo zu forcieren. Mirela Manjani-Tzelili war so eine Werferin. Diese Variante, die sie zusammen mit ihrer extrem beweglichen Schulter auszeichnete, war die Lösung der nur 1.64m kleinen Athletin um 1999 mit 67.09m einen Weltrekord zu werfen und zweimalige Weltmeisterin (99+03) zu werden. Heute wirft Mariya Abakumova so ähnlich. Die Belastung aufs Schultergelenk ist hier gross.
   
Sehr hohe Knieführung: ähnlich einem Kniehebelauf

Eher wenig WerferInnen führen die Knie sehr hoch. Barbora
Špotáková (Slo-Mo ab 1:48min) hat einen solchen Anlaufstil, der ihr hilft, die Oberkörperposition für den Schlussabschnitt in die richtige Position zu bringen. Dafür nimmt die gross gewachsene Tschechin (1.82m) die sinnvollerweise einen auf Zugwegs-Optimierung basierenden Stil pflegt, die entstehenden Bremseffekte und eine suboptimale Beschleunigungsmöglichkeit in Kauf.
   
Hoher Vorbereitungshupf: sprunghaft druckvolle Anlaufvariante

Es gibt Werfer, die drücken insbesondere beim 7-letzten Schritt enorm hoch ab, um dann bei den letzten 5 Schritten eine nach vorn-unten gerichtete Kraftrichtung zu haben. Da man sich dadurch aber beim 6-letzten Schritt sein vorheriges Anlauftempo etwas abbremsen wird, nehmen Vertreter dieser Variante billigend in Kauf, da die Vorteile durch das Verbessern des Rhythmus auf den letzten Schritten überwiegt. Kimmo Kinnunen oder Osleidy Menéndez machten diesen Hupf beispielsweise. Dies kann als "Tick" auch unfreiwillig eingeübt werden.
.
Und Mischformen komplettieren die Individualität

Beispiele:
- Tiefe schnelle Beinarbeit (finnisch):
Ruuskanen, Pitkämäki, Dunderdale
- Normale, klassische Beinarbeit:
Värnik, Pyatnytsya
- Eher langsame Beinarbeit: Alafrantti,
Martinez (im Vid ab 1:43min), Räty
- Kurzanlauf:
Osleidys Menéndez warf 2005 Weltrekord aus 11er-Anlauf


3c) Varianten der Hüfthöhe
Der Entscheid, ob aus hoher oder abgesenkter Hüfthöhe angelaufen soll, wird von der gewählten nachfolgenden Stemmschrittmethode (vgl. Pt. 7) bestimmt. Man kann mit leicht abgesenkter oder mit hoher Hüfte anlaufen! Jede der beiden Varianten ist weltklassetauglich. Keine ist richtig - keine ist falsch. Sie folgen einfach einem anderen Prinzip. Welches man wählt, sollte man idealerweise anhand des Athletenprofils bestimmen.

Variante mit leicht abgesenkter Hüfte

Dies ist die neuere Techniklösung, die erst mit Aufkommen der Ballensetztechnik beim Druckbeinaufsatz aufkam (Beispiel: Tero Pitkämäki oder Viteszlav Vesely). Einige Trainer "alter Schule" kennen somit diese Variante allenfalls wenig bis gar nicht und beurteilen sie dementsprechent kauzig.
Sowohl in Waldkraiburg wie auch in Finnland lernen die meisten fortgeschrittenen Athleten eine Anlaufposition mit leicht abgesenkter Hüfte. Leitend ist hier das Bestreben, den Körperschwerpunkt vom Anlauf bis zum Abwurf ruhig und immer auf derselben Höhe halten und so Bremsverluste durch Auf-und-Ab-Bewegungen möglichst zu minieren. Die Hüftsenkung muss sein, um den danach folgenden Stemmschritt-Beginn auf dem rechten Fuss auf dem Fussballen ausführen zu können. Ziel davon wiederum ist ein schneller und bremsverlustfreies Übertragen der Anlaufgeschwindigkeit zum Stemmbein.
So kommt es dann anschliessend auch beim Impulsschritt zu minimeren Änderungen des Kraftvektors der Anlaufgeschwindigkeit. Ein gewichtiges Argument ist, dass die Hüfte so besser und länger zurückgehalten werden kann. Doch es gibt noch weitere Vorteile: Das Beschleunigen zum Impulsschritt kann durch die grössere Unterstützung durch Kniestreckbewegungen besser erfolgen. Das Treffen des Impulsschritts wird so in vielen Fällen besser gelingen. Die Voraussetzungen für eine effiziente Druckbeinarbeit sind im Falle einer Stemmschritt-Technik mit Druckbein-Rotation (Eindrehen) so definitiv idealer. Positive Effekte hat es zudem auf die Zeit des Stemmschritts wie auch die Schrittlänge. Diese Variante ist wohl etwas schwieriger zu erlernen und erfordert wegen dem frontaleren Kraftrichtungsvektor des Stemmbeins auch grössere Kraftvoraussetzungen, aber bringt versierten Athleten mit Eindreh-Technik nur Vorteile.
Auf meine Nachftage an der 2nd World Javelin Conference befürworten die massgeblichsten drei finnischen Trainer-Koriphäen diese Lösung als Erst-Technik: Kari Ihalainen (aktueller Nationalcoach), Esa Utriainen (ehemaliger Finnischer und Englischer Nationalcoach) sowie Hannu Kangas (ehemaliger Nationalcoach, Trainer Pitkämäki). Aber auch führende US-Coaches wie Duncan Atwood zeigen in ihren Lehr-Videos (z.B. in "Javelin throw in 5 minutes", bei 7:11min) einen Anlauf mit abgesenkter Hüfte.
   
Variante mit hoher Hüfte
Dies ist bei einem frontalen Setzen des Druckbeinfusses im Stemmschritt oder bei "Soft-Step-Varianten" eine effizientere Vorbereitung, weil dadurch die Geschwindigkeit vom Impulsschritt zum Stemmschritt direkter weitergeleitet werden kann. Es kommt dadurch nämlich zu einer Verminderung der Nachteile der Rücklage, die oft mit dieser Technik einhergeht. Manche Vertreter dieser Variante geben ausserdem noch bessere "Sprint-Eigenschaften" des Anlaufens mit hoher Hüfte an. Es verhalte sich genauso wie beim Sprint: hohe Hüfte gleich bessere Tempo-Voraussetzungen.
 In Kombination mit der Softstep-Technik im anschliessenden Stemmschritt ist das hohe Führen der Hüfte bereits seit Backleys Zeiten eine bewährte Lösung. Vertreter hoher Hüfte sind "Englisch-Techniker" die der Schule von Backley-Trainer John Trower folgen, wie etwa Mick Hill (im Bild mit Mehrkämpferin Ennis) aber auch Finnen wie Peteri Piironen oder Aki Parviainen.
ABER Anlaufen mit hoher Hüfte ist keine universelle oder allein gültige oder alternativlose Variante! Wer im Anlauf eher auf den letzten Schritten zum Impulsschritt stark beschleunigen will oder wem die Druckbeintechnik mit Ballenaufsatz am meisten bringt, der muss definitiv anders anlaufen. Dem oben erwähnten Sprint-Vergleich hielt der renomierte Speertrainer Esa Utriainen in einem Gespräch mit mir 2012 mal entgegen: "mit hoher Hüfte kannst du wohl schnelles Tempo besser HALTEN. Aber wer schnell BESCHLEUNIGEN will, der muss das eher wie eine Raubkatze im tiefen Gras anschleichend und dann stossend/streckend tun. Und Sprinter starten ja schliesslich auch aus dem Tiefstart um zu Beschleunigen." Treffender kann mans nicht beschreiben.

Ich stellte in mehreren Fällen fest: sehr oft haben die Befürworter dieser Technikvariante grosse Mühe, die Funktionsweise der Variante mit abgesenkter Hüfte und dem späteren Ballenaufsatz beim Druckbein zu verstehen oder als Alternative zu ihrer Technik zu akzeptieren - Praxisbeweis durch Spitzenwerfer wie Vesely, Wirkkala und Pitkämäki hin oder her. Die Offenheit für die Variante mit gesenkter Hüfte und Druckbein-Ballenaufsatz scheint gerade bei Trower-Jüngern (im Gegensatz zum Meister selber!)
seltsam beschränkt...selbst bei Spitzentrainern. Löbliche Ausnahme in meinen Gesprächen war bisher nur Parviainen, der die ganze Sache sehr pragmatisch sieht.
Dabei ist die Zielsetzung in dieser Phase GENAU dieselbe, nur der Weg ist anderer: das Anlauftempo direkt und ohne Richtungswechsel oder Bremsverlust zum Stemmbein weiterleiten.
   
   
   
3d) Varianten der Oberkörper- und Armhaltung

Variante mit Spitze geradeaus in Wurfrichtung
(Normaltechnik)

Normalerweise wird versucht, mit der Speerspitze immer nach vorne in Wurfrichtung gerichtet zu bleiben, um mögliche Abwurfverkantungen und dadurch folgende Weitenverluste zu vermeiden. Für die meisten Werfer ist diese Variante anzustreben.
 
 
Variante mit starker Verwringung:

Einige Athleten wie drehen Oberkörper und Speer ziemlich stark ab. Miklos Nemèth war einer der ersten, später Jan Zelezny und heute sind es beispielsweise Mattias de Zordo oder Ari Mannio, die so werfen.
Je mehr man sich abdreht, desto schwieriger ist es den Speer anschliessend wieder in einer geraden Bahn nach vorne wegzuwerfen ohne dass das Gerät von dieser Körperrotation negativ beeinflusst wird. Es ist eine Technik, die nur Werfer ausführen können, die eine spezielle Schulterbeweglichkeit haben und deren Abwurf eher etwas "aussenrum" geführt und anschliessend mit einem vergrösserten Verkantungswinkel abgegeben wird. Wer dieses "Kunststück" dennoch schafft, profitiert von einem verlängerten Zugweg.
 
4. Setzen zum Impulsschritt

Das Setzen zum Impulsschritt sollte aktiv und nahe am Körper mit greifendem Fussaufsatz erfolgen. Ein Setzen weit vor dem Körper bewirkt ein unzweckmässiges "Ausbremsen" (ähnlich wie beim Sprint) und ist eine Ursache für eine starke Körperrücklage beim Setzen des Druckbeins (Bartonietz, 2004).
Ein etwas kürzerer Schritt zum Impulsschritt ermöglicht, den Impulsschritt schön flach und körpernah auszuführen.
Zu stark vor dem Körper aufgesetzt ergeben sich häufig Bremswirkungen und insbesondere eine zu stark vertikal gerichtete Umlenkung des Bewegungswegs; insbesondere wenn man noch -wie beispielsweise in der französischen Literatur oft gefordert- eine betonte Schwungbewegung mit rechts ausführt

  Ziehender Fussaufsatz
Nur noch selten gesehen (Gründe siehe oben): mit eher frontalem Zugfuss, deutlich vor dem Körper aufgesetzter, lang gezogener Impulsschritt um anschliessend in eine grosse Körperrücklage zu kommen (Maximierung eines langen Zugwegs). Nachteil ist die Bremswirkung des linken Fusses und die anschliessend ungünstigere Beinposition, woraus fast nur lange Stembein-Kontaktzeiten resultieren können.
Fazit: Für (eher schwere) Kraftwerfer der alten Schule (z.B. Paragi)
Greifender Fussaufsatz
Seit mehreren Jahren die weitverbreitetste Variante: mit dem ganzen Fuss oder dem Ballen vor dem Körper und eher seitlich aufgesetzter Impulsschritt. Der Oberkörper hat meist eine leichte Rücklage.
Da auch hier eine anschliessende Vergrösserung der Rücklage gewollt (aber schwierig im perfekten Treffen) ist, ergibt sich hier je nach Perfektionsgrad fast immer eine leichte Bremsbewegung durch den Aufwärts-Hub und die nachfolgende Landung.
Fazit: die von den allermeisten Werfern angewandte Variante
Kick Reach Step (oder: X-Step)
Einige Werfer versuchen mit einem spreizend springenden Schritt zum Impulsschritt die Voraussetzungen für eine zusätzliche letzte Beschleunigung des Impulsschritts zusätzlich zu verbessern. Je nachdem wie gut die Oberkörperposition ist, kann dies in der Tat auch gelingen. Andreas Thorkildsen macht dies beispielsweise. Ein erläuterndes Video von Duncan Atwood hierzu.
 
5. Impulsschritt

Für mich ist beim Impulsschritt wichtig, dass möglichst wenig Anlaufenergie verloren geht und der Athlet bestmöglich in eine für ihn optimale Position für die nachfolgende Druckbeinarbeit und den Stemmschritt kommt.
In diesem Bewegungsabschnitt bestehen grosse Unterschiede zwischen verschiedenen Techniken / Wurflösungen. Es geht hier um den ersten Übergang vom Anlauf zum Abwurf. Der Körper soll dabei in eine möglichst optimale Position für die nachfolgende, abschliessende Abwurfphase -die mit dem Stemmschritt beginnt- gebracht werden. Je nach Techniklösung ist diese Position aber sehr unterschiedlich. Es gibt sogar Athleten, bei denen fast gar kein Impulsschritt festzustellen ist (bsp.
bei 6:11min in diesem Video), aber diese nützen ihre Möglichkeiten selten voll aus.


a) Normaler Impulsschritt
 

"Der Impulsschritt soll flach, mit aktivem Adruck ausgeführt werden. Ein aktives, greifendes Setzen des Fusses zum Impulssschritt mit der gesamten Fusssohle (nicht mit der Ferse) ermöglicht eine kurze Abdruckdauer, einen geringen Geschwindigkeitsverlust und eine flache Körperschwerpunkt-Bahn während der Flugphase. Die Gestaltung wird massgeblich durch den Einsatz des Schwungbeins bestimmt. Während des Abdrucks links ist ein impulshafter Einsatz des Schwungbeins mit geringer Amplitude flach nach vorn zu fordern."

(aus: RTP DLV)

Das linke Bein ist das aktive Bein bei der Impulsschritt-Bewegung! Hier, zum Schluss der Anlaufphase versucht man, noch eine letzte kleine Temposteigerung zu erreichen. Dies gelingt durch einen aktiven nach hinten-unten gerichteten Beinzug, mit dem Anfänger oft noch etwas Mühe haben.
Stattdessen erschummeln sich Debütanten mit einem einfacher zu bewerkstelligenden Raufreissen des rechten Beins eine vermeindliche Bein-Aktivität im Impulsschritt.
Das rechte Bein ist das passivere Bein bei der Impulsschritt-Bewegung. Man soll mit dem rechten Knie einfach das linke kurz etwas überholen und dann sofort und mit offenem Winkel wieder nach hinten, um für den Stemmschritt parat zu sein.

"Es ist das KNIE, das die Arbeit des Beins steuert; nicht der Fuss" - Reinhold Paull
"Du solltest beim Impulsschritt Licht zwischen den Beinen durchscheinen sehen" - Terry McHugh


b) Finnischer Impulsschritt

"Do active crossovers, keep it low, but do not swing it too far" - Hannu Kangas

In Finnland ist das flach bleiben der Hüftlinie einer der zentralsten Punkte von deren Technikphilosophie. Ein guter Beschrieb der Rotationstechnik von . Dies zeigt sich insbesondere auch beim Impulsschritt als einer der Schlüsselstellen.

Das rechte Bein bleibt beim Überholen tief und winkelt im Knie kaum an. Während der Flugphase überholt das rechte Knie das linke ein wenig. Der Unterschenkel zeigt immer nach unten. In der Luft soll der Druckfuss nach vorne drehen und mit etwa 45 Grad (individuell; je nach Beweglichkeit) zur Seite gerichtet landen. Im Moment der Druckbein-Landung muss das Stemmbein wieder vor dem Druckbein sein!
Um den Körperschwerpunkt tief zu halten darf man natürlich im rechten Knie weder zu sehr raufreissen noch anwinkeln. Und auf der anderen Seite soll man mit dem linken Bein nicht zu sehr nach oben abdrücken, sondern "durch den Boden durchziehen", um Impuls horizontal nach vorne zu gewinnen. Dies wie im Punkt vorher beschrieben wird bereits im Schritt zum Impulsschritt massgeblich vorgespurt. Der Unterschenkel darf nicht vorpendeln - er bleibt mit der Ferse unter dem Knie. 



b) Impulsschritt ohne Knie-Überholen
  Ein anderer Ansatz geht dahin, dass man im Impulsschritt mit dem Druckbeinknie das Zugbeinknie kaum oder gar nicht überholt, um für den nachfolgenden Stemmschritt eine noch extremere Verschnellerung zu erzielen. Nachdem der Impulsschrittfuss bis leicht hinters Körperschwerpunkt-Lot gezogen wurde, wird der linke Fuss / das linke Bein bereits wieder nach vorn gebracht und man ist dann beim Druckfuss-Aufsatz mit dem Stemmbein schon viel weiter vorne als mit der konventionellen Technik. Damit dieser verkürzte Impulsschritt-Zugweg kompensiert werden kann, muss bei dieser Variante vorher mit einer umso höheren Geschwindigkeit angelaufen werden.
Diese Variante kann als technisch besonders schwierig bezeichnet werden, da sie sehr hohe Anforderungen ans genaue "Treffen" der nachfolgenden Arbeits-Zeitpunkte stellt. Mit dem resultierenden sehr kurzen Stemmschritt-Zeitmuster für den Spannungsaufbau ist man schnell überfordert und mit dem Oberkörper fällt man schnell einmal zu stark nach vorne, öffnet mit der linken Körperseite zu früh oder leitet den Armzug vorzeitig ein.
Protagonist
Tero Järvenpää realisierte mit dieser Variante wohl weltweit eine der kürzesten Stemmschritt-Zeiten. Auch Trine Hattestad vollzog diese Impulsschritt-Variante und heute Katharina Molitor.

c) Hoch ausgeführter Impulsschritt  (Französischer Impulsschritt)
  Manche AthletInnen ziehen den Impulsschritt eher hoch. Das heisst, sie ziehen das rechte Bein stärker nach oben und drücken mit dem Impulsschritt auch entsprechend etwas mehr in die Höhe ab. Zu dieser Technik kommt man unfreiwillig auch oft, wenn man -wie mancherorts gefordert- mit dem rechten Bein einen sehr aktiven schwunghaften Impuls macht.
Damit gewinnt man beim Impulsschritt unmittelbar nach dem Verlassen des Bodens in der Luft vielleicht etwas Zeit, um das linke Bein wieder etwas einfacher in eine günstige Position zu bringen. Manche glauben auch, dass so später mit dem Druckbein aktiver und schneller gearbeitet werden kann (z.B. Garry Calvert). Früher vollzogen
Heli Rantanen und heute Goldie Sayers diesen Hupfer.
Der französische Verbandstrainer Jacques Danail erklärte mir, sie versuchten hierbei das Druckbeinsetzen wie beim Hürdenlaufen zu setzen, also nach hinten wegdrückend weiterarbeitend.
Diese Variante birgt meiner Meinung nach ein grosses Risiko, beim Druckbeinsetzen einen Bremseffekt zu provozieren.

d) Überlaufener Impulsschritt

  Es gibt Athleten, die den Impulsschritt quasi überlaufen und durch die so resultierende Beinposition viel Stemmschritt-Tempo erzielen können. Andrus Värnik aus Estland (oder auch die Australierin Kimbery Mickle bis 2012) wirft so. Värnik läuft mit druckvollen, eher hoch und nicht allzu schnell ausgeführten Schritten an, drückt beim zweitletzten Schritt normal ab und schafft es mit einem sehr sauberen Softstep in eine für ihn günstige Abwurfposition zu kommen. Es ist bis zum Stemmschritt kein azyklischer Schrittrhythmus auszumachen.

Auch diese Variante ist definitiv nicht als Technik für jedermann geeignet, denn die Bein- und Fusstechnik insbesondere auf der rechten Seite muss absolute Weltklasse sein, um der Gefahr von Bremswirkungen nicht zu erliegen.

Randnotiz: Der grosse französische Speerwurftrainer Thierry Lichtle, den ich bei meinem Besuch 2013 in Tanhuvaara kennenlernte, schwärmt von Värnik in den höchsten Tönen.

e) "Null-Impuls-Schritt"

  Die in den 1970er-Jahren dominierende DDR-Speerwerferin und zweifache Olympiasiegerin Ruth Fuchs praktizierte die letzten Anlaufschritte ohne wirklichen Impulsschritt. Sie maximierte stattdessen mit viel Rücklage den Zugweg und holte primär daraus die Beschleunigung anstatt unter effizienter Mitnahme von Anlaufgeschwindigkeit.

Heute ist dies nur noch selten zu beobachten. An der EM 2014 warf der Lette Strobinders so.

f) Impuls in die Frontale

  Die ebenfalls aus der DDR stammende OS-Bronzemedaillengewinnerin von 1992 Karen Forkel (im Vid ab 7:18min) schwang die Beine fast gestreckt sehr weit nach vorn und landete so in einer grossen Rücklage.
Auch diese Variante kann seit der Änderung auf das neue Speermodell wohl als nicht mehr weltklassetauglich verabschiedet werden.

Einen verwandten Stil hatte Mirella Manjani. Auch sie warf die Beine frontal nach vorn, aber landete viel aufrechter, arbeitete mit dem Druckbein dynamischer und erzielte so einen sehr schnellen Stemmschritt. So konnte die in der Schulter extrem bewegliche Griechin auch das Speermodell 1999 erfolgreich werfen und wurde damit in Sevilla die erste Weltmeisterin.


g) Weitere Varianten
Man entdeckt immer noch neue Ideen, aber selten überzeugte irgendeine dieser Ausführungen bisher. Anlässlich der U18-WM in Lille zeigten Werfer aus Afrika und Asien teilweise sehr kreative, wenn auch nicht in jedem Fall effiziente Lösungen.
Schaut euch
in diesem Video die Werfer bei 3:33min und den bei 5:10min mal genauer an...
 
Das Fussgelenk dreht nach vorn!
  Das Fussgelenk dreht in der Luft bei allen guten Werfern irgendwann nach vorne. So kann nach die Fuss- und Hüftarbeit in der nachfolgenden Druckbeinarbeit dann auch aktiv passieren. Es ist also ein (wichtiges!) Vorspuren der nächsten Phase.

Ob dies wie bei Tero bereits mit dem Abdruck passiert oder erst später wie bei Andreas, das ist individuell. Als Trainer müssen wir schauen, was mit Knie und Hüfte passiert und ob das für die persönliche Technik dann günstigere Voraussetzungen schafft.

Jan Zelezny meinte anlässlich der World Javelin Conference 2012, er persönlich instruiere es seinen Athleten normalerweise so wie Thorkildsen - aber er versuche es mit seinem neuen Schützling Tero jetzt sicher nicht umzugewöhnen.
 
B. Der Abwurf
6. Landung zum Druckbein setzen

Früher warf man mit viel mehr Rücklage! In der Abbildung unten zeigt sich aber deutlich die Tendenz, dass neuere Techniklösungen eine aufrechtere Oberkörperhaltung beim Setzen des Druckbeins verlangen. Je nach individueller Anlaufdynamik und Beweglichkeit soll die auf die Voraussetzungen / Stärken des Athleten ideale Variante ausgewählt werden.

Generell bedeutet mehr Rücklage zwar einen längeren Zugweg, aber auch Bremswirkung für die Horizontalgeschwindigkeit und hat ein vorzeitiges Öffnen des Oberkörpers (Verlust von Spannung und Zugweg) zur Folge.
Es hat vielleicht auch mit der Änderung des Geräte-Schwerpunktes (1986 resp. 1999) zu tun, dass die Speere heute etwas flacher abgeworfen werden, als in früheren Zeiten und diese Winkel mit einer Optimierung (Erhöhung) der Anlaufgeschwindigkeit besser zu realisieren sind.


Deutsche Lehrmeinung:
Idealerweise befindet sich die die linke Schulter wie im Bild oben bei Hecht über dem (rechten) Druckbeinfuss. Der linke Fuss ist in diesem Moment deutlich vor diesem, wenn die Scherbewegung aktiv ausgeführt wurde (mit schlagender Bewegung des rechten Utnerschenkels nach vorn mit geringer Amplitude und minimalem Kniehub) und wenn beim Lösen zum Impulsschritt "Spannung" auf den linken Hüftbeugern war (Bartonietz, 2004).

Hannu Kangas Meinung:
Je nach Fähigkeiten des Werfers, mit der Druckbeinferse im Zeitpunkt des Stemmschritt-Aufsatzes rechts hoch zu bleiben kann die Variante mit Lot über der rechten oder der linken Schulter gewählt werden.
 
7. Stemmschritt
» So wenig wie möglich abbremsen und wenn die Hüft den Stützpunkt passiert hat: schiebend (+ je nach Variante: drehend) 
» Auch hier bestehen mehrere hochleistungs-taugliche Varianten; nachstehend sechs davon
» Gemeinsam ist ihnen, dass der Oberkörper beim Stemmfussaufsatz noch "zu" bleiben soll (Schulterachse in Wurfrichtung)
» Garry Calvert beschreibt in seinem Artikel wie ein dynamischer Stemmschritt mit Rotationstechnik zusammenhängt
» Heute werden im Spitzenbereich eher Varianten 1+2 bevorzugt (vgl. WM 2011); früher eher 3+4 (vgl. OS 1980)
» Ein Druckbein-Fussaufsatz zur Seite mit über 90° zur Wurfrichtung ist als falsch zu bezeichnen
» Schöne Slow-Motion Vids verschiedener Stemmschritt-Setzvarianten: Video 1 ¦ Video 2

Variante 1: Ballenaufsatz-Technik mit Hüftdrehung
  - über Ballen mit 45° oder frontaler aufgesetzt
- Hüfte ist bei DB-Aufsatz noch ausgedreht
- Fuss/Knie drehen nach vorn
- Vorteil: Rotations-Muskelkette rekrutierbar
- Nachteil: erfordert Kraft in Waden; muss geübt werden

- Beispiele: Vesely,
  Wirkkala, Thorkildsen, Järvenpää, Wöschler (RB), Häber, Nathalie Meier bis 2013
Bei dieser Variante, welche in den meisten Ländern mittlerweilen die Standart-Lehrtechnik ist (ausser vielleicht der Schweiz), wird der Fuss des Druckbeins mit 45° zur Wurfrichtung oder frontaler AUF DEM BALLEN aufgesetzt. Und vom Fussaufsatz rechts bis zum Stemmfussaufsatz bleibt man immer auf dem Fussballen  - die rechte Ferse soll den Boden nie ganz berühren. Das Knie soll nach vorne unten gerichtet sein BEVOR der Stemmfuss runterklappt. Nur so ist es möglich, durch eine (des Tempos wegen unwillkürliche!) Hüft-Rotation die Freisetzungs-Kette der potenziellen Energie (Verwringungs-Spannung) optimal auszuschöpfen.

In der Schweiz leider viel zu wenig angewandt. Dies ist die empfohlene Variante im DLV Rahmenplan Wurf (ebd: Technikmodell Speer, S.145). Dies wäre auch unserer Meinung nach die primär zu erlernende Variante mit gemeinhin am wenigsten Risiken und Nachteilen, aller sechs Varianten.


Variante 2: Sohlen-Technik
- über ganze Sohle aufgesetzt
- Hüfte seitlich ausgerichtet beim Setzen
- sehr aktives anschliessendes Heben der Ferse
- Vorteil: Individuell besseres Setzgefühl, Kontrolle
- Nachteil: Schwierige Fersenhebebewegung

- Beispiel: Tero Pitkämäki Vid 1 ¦ Vid 2 oder auch Päivi Alafrantti
Dies ist eine sehr individuelle Variante von Tero Pitkämäki. Damit kann er insbesondere die Amortisationsphase kontrolliert, aber doch kurz halten und die sehr individuelle Bein-/Knie-Drehbewegung zum Impulsschritt ebenfalls kurz behalten und so viel potenzielle Spannungsenergie des Oberkörpers behalten. Kurz: damit kann Tero viel Anlauftempo kontrollieren und umsetzen. Diese Technik muss als sehr individuell und eher schwierig zu erlernen bezeichnet werden. Aber sie vereint die positiven Elemente eines Hardsteps, ohne dessen Nachteile (bremsen/öffnen/Spannungsverlust) einzugehen. Kreativ!


Variante 3: Frontalsetz Technik
  - über die Sohle frontal in Wurfrichtung aufgesetzt
- Hüfte ist von Anfang an frontal ausgerichtet
- Knie rechts aktiv nach vorn unten drücken
- Vorteil: keine Hüftdrehung, samt deren Risiken
- Nachteil: mehr Stemmkraft und Drehbeweglichkeit nötig

- Bsp:
Nerius, Zahndt (RB), Rittweg, Maniani-Tzelili (extrem)
Bei der (vor allem von deutschen Frauen gewählten) Frontal-Technik-Variante ist angestrebt, das Gewicht lange auf dem rechten Bein zu behalten, bevor der Wurf über das Stemmbein gezogen wird. Der Abwurf wird durch eine aktive (gerade) Oberkörper-Neigebewegung nach vorn unterstützt. Dadurch das keine Hüftdrehung nötig ist, übergeht man die anspruchsvolle Technikschulung derselben und man erhofft sich Vorteile durch ein gerades Weiterarbeiten des rechten Fusses weniger Tempoverlust. Sie erfordert aber ein klar höheres Stemmbeinkraft-Niveau und eine sehr gute Oberkörper-Verwringungsfähigkeit.


Variante 4: Soft Step Technik
  - über Ballen >> Grosszehen ballen "passiv" seitlich abrollen
- Hüfte ist bei DB-Aufsatz zur Seite gedreht
- "Tilt" beim Druckbein-Aufsatz (Pfeil); Rotationsbremse
- Nachteil: Impulsweitergabe in Hüfte weniger effektiv
-
Tidow hat über diese Variante geschrieben
- Beispiele: Ruuskanen,
Wolfermann, Whitbread, Pedersen (RB), Tafelmeier, Avramenko, Sanderson
Harnes beschreibt in der LdLA 1973 "Die Qualität des Abwurfs hängt in grossem Mass von der Körperstellung im Moment der Landung auf dem rechten Bein ab. In dieser zurückgelehnten Stellung ist es wichtig, dass das rechte Bein nicht gegenstemmt, sondern in der ersten Phase nachgibt und nachschiebt, wenn die Hüfte den Stützpunkt passiert hat." Die Senkung des Schwerpunkts wird deshalb als Soft Step bezeichnet.
Befürworter des Soft Step wie Jeff Gorski (der einen massgeblichen Artikel hierüber verfasst hat) führen an, dass so die Bremskräfte aufs Druckbein minimiert werden und die Kraftrichtung (v0) direkt aufs Stemmbein geleitet wird (u.a. auch Ihalainen). Die Technik ist aber als besonders veranlagungsabhängig zu bezeichnen, weil das Treffen des Druckfuss-Punktes bei der Landung nach dem Impulsschritt sowohl von der Körperneigung plus Beinposition plus Fussposition her wie auch vom Zeitpunkt her ganz genau stimmen müssen. Die Fehlerquote ist entsprechend hoch und es entsteht sehr rasch ein ineffizienter und mühsam zu korrigierender "Hard Step" (siehe unten). Nicht zu unterschätzen sind zudem die markant schlechter kontrollierbaren Kräfte, die so aufs Stemmbein einwirken.

Der Biomechaniker Tidow beurteilte in seinem vielleicht meistbeachteten Artikel den Soft-Step eher skeptisch wegen dem Verlust des Sohlenkontaktes, welcher die Impulsweitergabe der wurfarm-seitigen Verwringungs-Energie geringer weitergeben kann.
Von den konditionellen Anforderungen her ist eine ausserordentlich gut ausgeprägte Bauchmuskulatur zum Auffangen des Schlages im Rücken nötig. Und man sollte definitiv keine Hohlkreuz-Neigung (Hyperlordose) als Veranlagung haben, wenn man sich für diese Stemmschritt-Technik entscheidet. Auffällig aber nicht verwunderlich ist die grosse Zahl der mit langwierigen Rückenproblemen kämpfenden schweizer Softstep-WerferInnen. Deshalb ist dies sicher keine Anfängertechnik und definitiv nicht für Jüngere geeignet.

Aber diese Variante wurde und wird berechtigterweise von vielen Spitzenwerfern angewandt! Für Athleten die die oben beschriebenen Aspekte nicht betrifft, bietet der Soft-Step durchaus eine akkurate Lösung zur Technikoptimierung.
Und selbst Olympiamedaillen wurden damit erzielt (Wolfermann, 1972). Fatima Whitbread beurteilte später ihre eigene Fussarbeit mit dieser Technik als suboptimal. 

Ich persönlich betrachte den Softstep als Spitzentechnik, auf die bei entsprechender Veranlagung durchaus umgestellt werden kann und absolut gleichberechtigt und weltrekordtauglich ist. Aber Soft-Step ist sicher keine Basistechnik, wie sie in der Schweiz von einigen Trainern verkauft wird. Anfangen sollte man mit einer Technik, wo beide Füsse auf dem Boden stehen.


Variante 5: Hard Step - keine Variante, lediglich ein falsch ausgeführter Soft-Step (häufiger Fehler)
Eine technisch schlecht ausgeführte Soft Step Technik kann man plausibel als Hard Step betiteln. Kennzeichnend ist ein ausgeprägter Anti-Rhythmus Jamta----taam. Man hört und sieht einen im zeitlichen Vergleich überlange dauernden Stemmschritt. Der unterschiedliche Rhythmus ist das Unterscheidungsmerkmal zum Softstep: Jam-Tatam = Softstep / Jamta---taam = Hard Step.
Der Unterschied ist verursacht durch den weiter vor dem Körper aufgesetzten und oft mit ausgependeltem Unterschenkel vorauseilenden Druckbein-Aufsatz. Durch die dadurch verursachte viel längere Druckbein-Setzzeit und -Setzweg hauptsächlich vor dem Körper, erfolgt beim darauffolgenden Setzen rechts ein deutliches Abbremsen des Anlauftempos und es entsteht die typische Rhythmuspause ("Tilt"). In den Stemmschritt auf links fällt man danach regelrecht hinein, unkontrolliert.

- rechts passiv auf die Ferse runter plumpsen
- im Knie erst nachgeben, zur Seite knien, dann fallen lassen
- keine aktive Fussdrehung, sondern seitliches ab-und-umlegen
- ist folglich schlicht ein "ins Stemmbein reinfallen"
- "es" dreht in Knie-und-Hüft erst mit oder (noch schlimmer) nach Stemmfussaufsatz
- Stemmschritt-Rhythmus: über-lang
- Rhythmus: statt Jam-Tatam ists hier Jamta----Taaam


- Vorteil: muss nicht erlernt werden; einfach "fallen lassen"
- Nachteile: Bremswirkung + Verwringungsenergie wird stark vermindert weitergeleitet + zu frühes Oberkörper öffnen wahrscheinlicher + erhöhte Verletzungsgefahr des Knies der Druckbeinseite sowie des Patellarsehnenansatzes auf der Stemmbeinseite und ganz besonders des Rückens.


- Bsp: Hermann, Sormunen, Tarabin

In der Schweiz hält sich diese Variante leider äusserst hartnäckig. Sie entspricht jedoch nicht den im schweizer J+S-Ausbildungsmaterial definierten Kernelementen "Rhythmus Jam-tatam" sowie "Wurfauslage mit Gewicht über Druckbein+gestrecktes Stemmbein". 


Variante 6: Fersen-Technik

  - rechts über die Ferse setzend
- Hüfte eher schon etwas eingedreht
- Knie nach vorn unten drehen / drücken
- Vorteil: eher einfach bezgl. Technik und Kraftvoraussetzungen

- Vorteil: etwas mehr Zeit für Druckbeinarbeit/-kontrolle
- Nachteil: starker Tempoverlust, erhöhte Verletzungsgefahr
- Bsp Ferse:
McHugh (Bild), Iordan, Abakumova, Räty, Paragi
Terry McHugh (84m-Werfer) sagt hierzu, das er selber beim Druckbeinaufsatz über die Ferse abgerollt hat und deshalb später langwierige Fersenverletzungen zu kurieren hatte. Er würde es heute niemandem mehr so beibringen, sondern instruiert heute explizit Varianten OHNE Fersenkontakt. Er unterrichtet die Technik bei seinen Athleten strikt im Stile von Trower/Backley.

 
Exkurs: zur Rolle des Hüfte eindrehens
Gerade in der Schweiz sehe ich immer wieder Athleten und Trainer, die sich mit viel Zeit dem Eindrehen der Hüfte widmen. Wie oft höre ich "bring die Hüft nach vorn" / "Hüfte spannen" / "zuerst die Hüfte" / Hüfte hier und Hüfte da. Am tollsten sind ja diejenigen Protagonisten, die den Druckbeinfuss noch zur Seite ablegen und dann so 10x hintereinander eindrehen. Nirgends auf der Welt wird so ein Brimborium um diesen Punkt gemacht wie bei uns in der Schweiz!
Ich möchte hierzu zunächst anmerken, dass die Stemmphase mit ca. 0.2sec eine sehr kurze Zeit ist. Zu kurz, um mit einer willkürlichen Hüftbewegung auslösend bis zum Wurfarm wirken zu können. Es gibt daher ein nicht weg zu diskutierendes, weil biomechanisch einwandfrei feststehendes Zeitproblem.
Die Rolle der Hüfte ist schon nicht ausser Acht zu lassen! Aber es handelt sich dabei um ein verstärkendes Sekundär-Element: Die Hüfte beschleunigt innerhalb einer Bewegungskette den Impuls lediglich weiter - sie löst ihn nicht aus. Die Rotation wird im Rahmen der Gesamtkörper-Positionierung und der Landung und Arbeitsrichtung des Druckbeins "geboren". Um die Verwringung und damit auch die Spannung hinzukriegen, wird die Trainingszeit am besten ins korrekte Erlernen der Druckfussarbeit (wo setzen? wie setzen? wann und wie arbeiten und Gewicht verlagern?), die Gegenarm-/Oberkörperhaltung, das richtige Vorspuren im Impulsschritt und in das Beheben von Kraftdefiziten der Wadenmuskulatur investiert!

Isidor Fuchser: "Für mich sind Trainer, die nach dem gestreckten Arm gleich das Eindrehen der Hüfte anzielen zuwenig mit der effektiven biomechanischen Funktionsweise des Speerwerfens vertraut. Offensichtlich haben sie eine falsche Bewegungsvorstellung, wo und wann die Bewegung im Stemmschritt willkürlich noch beeinflusst werden kann. 

Hüfte eindrehen ist keine Kernbewegung! Daher kein so wesentlicher Trainingsinhalt, dass man ihn besonders oft üben müsste. Richtig zuvor platziert kommt die Hüfte ganz von alleine richtig und arbeitet dynamisch. Die Hüfte ist vielmehr ein Symptom-Anzeiger von dem was vorher weiter unten passierte. Jedoch keine "Bewegungsursache", kein auslösender Ansatzpunkt, wo man als Werfender einen neuen Bewegungsimpuls auslösen könnte..
 
8. Oberkörper- und Gegenarmvarianten beim Landen des Stemmfusses
Der Oberkörper muss bis zum Stemmfussaufsatz geschlossen bleiben, damit die Rotationsbeweglichkeit des Oberkörpers zu den Beinen als Beschleunigungswegs-Reserve nicht frühzeitig aufgelöst werden soll. Heisst für mich: bezüglich Positionierung der Schulterachse gibt es für mich keinen Variations-Spielraum.
Als Mittel zum Zweck dient der Gegenarm. Die Haltung und Führung des Gegenarms kann in verschiedenen funktionierende Varianten passieren.

Variante 1: Nur Oberkörper
; ohne bewusste Gegenarm-Arbeit
Stefan Müller sagte mir einmal in einem Gespräch, auf seine Frage an Thorkildsen nach der Rolle des Gegenarm antwortete ihm der Norweger "darauf achte ich mich eigentlich gar nicht".

Variante 2: Bewusstes Verzögern der Schulterachse mit dem Gegenarm
Die Umleitung von Anlaufgeschwindigkeit über den Körper durch Spannungsbögen in den Muskulaturen beginnt mit dem Stemmfussaufsatz. Entsprechend wichtig ist, wie der Körper an diesem Schlüsselzeitpunkt positioniert ist. Die Position des Unterkörpers wurde soeben beleuchtet. Nun rücken wir den Oberkörper in den Fokus.
Wir sehen in der Bildreihe, dass der linke Arm der Bein-/Hüftdrehung entgegenhält und so bis zum Stemmfussaufsatz die Schulterachse abgedreht hält. Der Arm öffnet mit dem Bodenkontakt der Stemmfuss-Spitze.


Variante 3: Gegenarm-Öffnen

Reinhold Paul's Vorzeige-Methode ist auch auf eine sehr bewusste Gegenarmführung gerichtet. Er vollzieht mit dem Gegenarm während dem Stemmschritt eine Bewegung des Öffnens bis zu einer lockeren Streckung, wobei die Schulter aber nicht wegdreht. Somit ist man am Schluss des Öffnens etwa wieder dort, wo der Werfer in der oberen Bildreihe in Bild Nr. 4 ist. Das anschliessende Abwerfen ist genau gleich:
Instruktions-Video
 

9. Blockieren Oberkörper/Gegenarm

Mögliche Armhaltungen beim Block
  In dieser Phase sind die Gestaltungsmöglichkeiten eher begrenzt und die physikalischen Erfordernisse ziemlich eindeutig. Der Gegenarm gehört in dieser Phase nah und angewinkelt zum Körper.
Der Block verhindert ein Überrotieren und die Kräfte werden übers Stemmbein geführt.
Die Gegenarmseite bildet mit dem Block ein Widerlager zu den Zugkräften des Wurfarms und ermöglicht dem Wurfarm erst ein effektives Beschleunigen. Es darf insbesondere bis zum Abwurfzeitpunkt kein Ausweichen respektive Weiterrotieren des Oberkörpers hinter die 90-Grad-Linie zur Wurfachse passieren. Der linke Ellbogen bleibt möglichst vor der Oberkörpermitte.

Je nach Armzug sind wie die nebenstehende Abbildung illustriert gewisse Haltungs-Varianten des Unterarms denkbar.

Wichtig:
» Wir schauen darauf, dass beim Blockieen der Gegenarm-Ellbogen etwa rechtwinklig fixiert ist und nach vorn gerichtet vor der Körpermitte bleibt. Eher ungünstig ist ein offener, nach unten (oder hinten) gestreckter Gegenarm im Moment des Blockierens.
» Die linke Hüfte soll bis zum Abwurf nach vorne gerichtet bleiben und nicht nach links oder hinten wegrotieren.
» Reinhold Paul braucht folgendes Bild: "Stell dir vor, du hast hinter dem linken Ellbogen beim Blockieren ein Blech und du kannst nicht weiter rotieren, als bis 90° zur Wurfrichtung."

Der Finne Aki Parviainen ist ein schönes Beispiel für einen stabilen Block

 
10. Abwurf
In der finalen Abwurfbewegung sind die Unterschiede sehr augenfällig. Während manche Werfer in einer Linie über die Schulter ziehen, werfen andere den Speer eher aussen rum.
Als illustrativen Vergleich möchte ich -weil diese idealtypischen Ausprägungen verschiedener Abwürfe noch keinen Namen haben- gerne Ähnlichkeiten mit anderen Sportarten hinzuziehen, wo auch geworfen wird: der Cricket-Stil und der Baseball-Stil.
     
     
a) Lineartechnik - oder: der Cricket-Stil
Ähnlich einem Cricket-Spieler wird der Speer aus der Rückhalteposition mit der Spitze in Wurfrichtung in einer geraden Zuglinie, also ohne "Diagonal-Rotation" in  über den Körper gezogen.
Es gibt sehr wenige Werfer, die wirklich schnurgerade über die Schulter werfen. Steve Backley kam dem wohl bisher am nächsten. Er hatte eine so radikal lange Wurfarmverzögerung, wie ich es bis heute bei keinem anderen Werfer mehr gesehen habe. Oder Aki Parviainen oder Mick Hill wären auch noch zu dieser Reihe zu zählen. Nur dank einer teils natürlich gegebenen, teils antrainierten Schulter-Beweglichkeit, war es überhaupt möglich so zu werfen.
Wenn einer dieser Werfer gegen gleichwertige Baseball-Stilwerfer einen Ball werfen müssen, so ziehen sie den Kürzeren. Ein Beispiel war z.B. ein solcher Vergleichswettkampf zwischen Steve Backley und Mick Hill, welchen letzterer (schwächerer Speerwerfer) mit ca. 5m Vorsprung für sich entschied.

Fazit: Die Lineartechnik ist die logische Wahl für Werfer, die dem klassischen Technik-Leitbild von Backley mit hoher Hüfte und Softstep nacheifern. Aber das Bild des "über den Körper drüber werfens" ist aber für ALLE Anfänger sehr wichtig. Von den 10 weitesten Würfen aller Zeiten wurden allerdings nur gerade zwei von Lineartechnikern geworfen.
 

 

     
     
b) Rotationstechnik - oder: der Baseball-Stil
Wie bei einem Baseball-Spieler können einige Wurfkünstler den Speer relativ stark aussenrum werfen -man könnte es beinahe als schleudern bezeichnen. Diese Variante hat den Vorteil, dass sich aufgrund eines längeren Beschleunigungswegs rein biomechanisch damit noch grössere Geschwindigkeiten erzielen lassen. Jedoch birgt der Rotations-Stil den Nachteil, dass es so viel schwieriger ist, das Gerät optimal, d.h. ohne aerodynamische Verluste einer Verkantung (Soll: <10º) zu treffen.
Zudem ist die Verletzungsgefahr insbesondere im Ellbogenbereich hier um ein Vielfaches grösser, wenn man zu flach wirft anstatt über die Schulter zu ziehen.
Und schliesslich zweifeln einige "Technik-Puritaner", ob so zu werfen denn überhaupt noch dem reglementarisch vorgeschriebenen Wurf über die Schulter entspricht.
Die meisten der heute erfolgreichsten Werfer sind eher dieser Kategorie zuzuordnen. Ein ausgeprägtes Beispiel ist natürlich Christina Obergföll oder auch Barbora Spotakova. Auch Jan Zelezny, Sergey Makarov und Matthias De Zordo sind klassische Beispiele von Rotations-Werfern. Früher waren all die grossen ungarischen Werfer wie Németh oder Paragi oder auch Tom Petranoff berühmte Rotationswerfer.

Fazit: Wohl eher nicht der Ansatz, der als unmittelbare Einstiegsvariante geeignet wäre; ausser jemand wirft von Natur aus so und bringt den Speer gerade raus (gibt es selten, aber immer wieder mal). Aber der Trend der weltbesten Werfer geht heute eindeutig in Richtung eines Rotationsstils.
     
     

Nebenan zeigen zwei Bildreihen die beiden wohl derzeit Weltbesten Speerwerferinnen Christina Obergföll und Barbora Spotakova im Vergleich derselben Wurfphase von hinten aufgenommen.

Ähnlichkeiten:
- der grosse Verkantungswinkel
- die massive Stemmbein-Verkantung nach links

Unterschiede:
Bild 1: Speer bei O. weiter weg vom Kopf
Bild 2: Zugbahn des Speeres bei O. weiter aussen
Bild 3: Schulterachse bei S. mehr nach vorn
Bild 4: Gerät bei O. bereits viel weiter nach rechts weg
 
 
 
Epilog : Unkonventionell und doch erfolgreich...gerade gut WEIL sie ihren eigenen Weg gehen
  Technikpuritanern treibt der Amerikaner Breaux Greer die Tränen in die Augen...so kann, nein so darf man doch gar nicht so weit werfen!!! Aber er tat es trotzdem! Mit 91.29m realisierte er die neuntbeste Weite aller Zeiten.
Ich würde um Himmels willen niemandem raten so zu werfen, nein! Und seine zahlreichen Tapes auf der Wurfarmhinterseite sprechen Bände.
Aber ich mag es, dass er konsequent seinen Weg ging und eben gerade nicht eine Technik zu imitieren suchte, die nicht seine war. Mit einer Schablonentechnik wäre er eingegangen - Coach Ihalainen formte ihn zum Osaka-Bronzemedaillengewinner. Ich schmunzle beim Gedanken, was wohl in Ihalainens Kopf vorging, als er Greer zum ersten Mal auf dem Platz werfen sah..."hmmmm, wo genau setzen wir bei diesem Chaos-Techniker nun zuerst an?".
 
 
  Tero Pitkämäkis Abwurf und Auffangen wird in vielen deutschen Fachpublikationen mehr oder weniger offensichtlich belächelt und abgewertet: zu tiefer Arm und ach dieser Umsprung am Schluss...das macht man doch nicht! Auch hier meine ich: klar soll man dies nicht als Musterlösung für Anfänger probieren. Aber auch Technik-Schöngeister müssen zur Kenntnis nehmen, dass Tero bereits eine sehr lange Zeit mit eher wenig Verletzungen im Business ist; welcher Deutsche schaffte dies nochmals? Mit 91.53m realisierte er eine Bestweite, die nur EIN Deutscher je  übertraf (R. Hecht). Was ich mag, ist aber die begeisternde Wirkung auf die jungen Finnen und Speerwurflaien.
Dies eben gerade wegen seinem spektakulären Abwurf. Er bringt wieder etwas Farbe, Leben, Action und Spektakel in die Arena zurück.
 
 
Ein Talent im Speerwerfen wird nicht durch seine Körperproportionen bestimmt. Mit verlässlicher Regelmässigkeit höre ich immer wieder schlauschwätzerische Nüchterlinge, dass es jemand mit diesen oder jenen Körpermassen nicht bis an die Spitze bringen kann. Ich glaube jedoch, dass Menschen mit Willen, Engagement und kreativen Perfektionieren ihrer Stärken immer einen Weg bis an die Spitze finden. Und die Anthropometrie-Studie hier untermauert dies sogar wissenschaftlich. Mir kommt dabei jeweils der auf einer wahren Geschichte basierende Film "Seabiscuit" in den Sinn, wo ein vermeindlich ungeeignetes, kleines Pferd plötzlich das schnellste Rennpferd von allen wird. Ein schönes Zitat aus diesem Film "it's not in his feet - but in his heart".
Etliche Untersuchungen beweisen, dass die Abwurfgeschwindigkeit der mit Abstand grösste Einflussfaktor auf die Endleistung ist. Fürs Erzeugen dieser Abwurfgeschwindigkeit hat die Schnellkraft (und vor allem der Teilaspekt Schnelligkeit!) der Muskeln und die Technik einen überwältigend grösseren Einfluss, als die blosse Eigenschaft eines etwas längeren Arms oder etwas mehr Körperhöhe.

Praxisbeweis gefällig? Jorma Kinnunen mass 1.74m und warf 1969 mit 92.70m damaligen Weltrekord. Klaus Wolfermann mass 1.76m und wurde mit 90.48m Olympiasieger 1972. Mirella Manjani-Tzelili mass 1.64m und wurde 1999 und 2003 Weltmeisterin mit einer Bestweite von 67.51m. Die Schweizer Rekordhalterin mit dem alten Modell, Denise Thiémard (64.04m) war 1.67m gross.